Porsche Klassik
· 02.11.2024
Im Minutentakt halten die Passanten an der Promenade im italienischen Bellagio inne und fotografieren mit ihren Smartphones. Ihr Motiv: ein togobrauner Porsche 356 C mit einem Koffer auf dem Heckträger, den vergilbte Aufkleber aus dem vergangenen Jahrhundert zieren. Der Koffer hat zwar keinen Kilometerzähler wie der Porsche, doch er hat wahrscheinlich genauso viel erlebt. Isabelle Ebermann und Jasper Eckert beobachten die Szene amüsiert mit einem Espresso in der Hand. Schon seit zwanzig Minuten sitzen sie hier. Unterwegs sind die beiden schon viel länger. Mehrere Tausend Kilometer im 356 C liegen hinter ihnen – hergeführt hat sie der geheimnisvolle Koffer auf dem Heckträger.
» Der Koffer erzählt von HISTORISCHEN REISEN – dem mussten wir nachspüren «
Zu verdanken ist dieser Umstand einem glücklichen Zufall. Jasper, der die auf Porsche spezialisierte Oldtimer-Werkstatt FineEleven betreibt, ist gerade mit der Restaurierung seines 356 C fertig geworden und schaut sich nach einem passenden Koffer für den Heckträger um. Da findet der 32-Jährige einen auf den ersten Blick banalen Lederkoffer im Internet. Die Verkäuferin erzählt, dass der ihrem Urgroßvater gehörte, der viel herumgereist ist. Sein Name: Max Detlev Ketels. Ein Hamburger Kaufmann. In den 1940er-Jahren war er Senator für Handel, Schifffahrt und Gewerbe in der Hansestadt. Ketels reiste viel – sein Koffer ist Zeuge. Die Sticker auf dem Deckel erzählen von seinen Ausflügen von Europa bis nach Südamerika. „Das hat uns sofort fasziniert“, sagt Jasper.
Wenige Wochen später schmieden die beiden Pläne für einen größeren Trip. Das Ziel: Italien. Der Rest: offen. „Uns kam die Idee, den Stickern hinter-herzureisen“, erzählt Isabelle. „Denn wir hatten herausgefunden, dass alle Hotels, die auf den Stickern abgebildet waren, noch existieren.“ Die beiden beginnen zu packen – inspiriert von verblassten Aufklebern und historischen Porsche-Orten.
Für das Paar ist dieses Abenteuer ein ganz besonderes. Der 356 ist mehr als nur ein Auto. Und Porsche mehr als nur eine Marke. Die beiden erben die Begeisterung von ihren Vätern. Isabelle schraubt schon als kleines Mädchen selbst mit, auch Jasper blickt seinem Vater, mit dem er heute in Brietlingen südlich von Hamburg FineEleven führt, bereits in jungen Jahren über die Schulter.
Der 356 C in Togobraun aus dem Jahr 1964 ist eines der rund 20 Fahrzeuge, die in den Hallen des auf luftgekühlte Porsche spezialisierten Betriebs stehen, als sich Jasper und Isabelle kennenlernen. „Getroffen haben wir uns auf einem Oldtimer-Event in Hamburg“, erinnert sich die 35-jährige Grundschullehrerin. „Wir haben schnell gemerkt, dass wir die gleiche Leidenschaft teilen – und auch sonst auf einer Wellenlänge sind.“
Während der ersten Treffen in den kommenden Wochen stellt sich heraus: Jasper teilt nicht nur Isabelles Passion für Oldtimer – er hat auch ihren Traumwagen in einer Lagerhalle stehen. Einen 911 T Targa, Baujahr 1970. „Exakt das gleiche Modell, das mein Vater fuhr“, sagt Isabelle. „Als wir ihn während der Probefahrt besuchten, hatte er vor Rührung Tränen in den Augen.“ So werden zwei neue Unikate Teil von Isabelles Leben. Der Elfer, Pino genannt. Und Jasper – der zu einem einzigartigen 356-Abenteuer einlädt.
Der erste Stopp: Lofer in der Nähe von Zell am See. In einem Rutsch fährt das junge Paar aus dem Norden Deutschlands nach Österreich. Das Ziel ist nicht zufällig gewählt. Denn wer einen neu aufgebauten 356 testen möchte, für den kommt eigentlich nur eine Strecke infrage: die Großglockner-Hochalpenstraße. Der Ort, wo seinerzeit auch Ferry Porsche die ersten 356 der Belastungsprobe unterzieht. Ein Jahr lang hat Jasper an der Vollrestaurierung des 356 gearbeitet und den Wagen originalgetreu wieder aufgebaut. 1.600 ccm Hubraum, 75 PS, Viergang-Schaltgetriebe und mehr als 400.000 Kilometer auf dem Tacho. Für Menschen seines Alters ist die Fahrzeugwahl eher ungewöhnlich. „Dabei ist es ein sehr gut fahrbares Auto“, bekräftigt er. „Ich würde mir wünschen, dass das Modell auch bei den jüngeren Leuten etwas mehr Präsenz bekommt. Vor allem der 356 C – denn im Gegensatz zu seinen Vorgängern hat er Scheibenbremsen. Fahrdynamisch ein riesiger Vorteil.“
Der Oldtimer-Spezialist weiß: Die ersten 1.000 Kilometer nach einer Vollrestaurierung sind besonders spannend. Doch der 356 C läuft. Und läuft. Und läuft. Die beiden stoppen bei F.A.T Mankei, dem von Ferdi Porsche gegründeten Event-Restaurant auf der Hochalpenstraße. Spektakuläre Panoramen, saftig grüne Bergrücken, imposante Wolkenformationen – es ist wie damals, als die ersten 356 über diese Straße rollten.
Ihr nächstes Ziel: das Hotel Excelsior Palace im italienischen Rapallo – der erste Stopp, der vom Koffer inspiriert ist. Über den Gardasee und den Cisa Pass – die Strecke, auf der Enzo Ferrari sein erstes Bergrennen bestritt – fahren sie Richtung Mittelmeerküste. Rapallo südlich von Genua gilt als Perle Liguriens. Pasta an der Promenade, ein Spaziergang durch die autofreie Altstadt oder Bootsausflüge nach Portofino – La Dolce Vita lässt grüßen. Das Hotel Excelsior Palace wirbt damit, das einzige Fünf-Sterne-Luxushotel an der Küste von Portofino zu sein. „Zugegeben: Die Orte, in denen Senator Ketels residierte, passten nicht ganz in unser Reisebudget“, erklärt Isabelle mit einem Augenzwinkern. „Aber es ist doch faszinierend zu sehen, wie sich die Welt verändert – und ein Hotel, ein 356 oder ein Koffer die Zeit überdauern.“
Die beiden brauchen keinen großen Luxus. Für sie zählen die Erinnerungen. Und die sind mit dem 356 C immer ganz besonders. Etwa wenn sie zwischendurch ihre kleine Mokkakanne auspacken, es sich auf einer Picknickdecke gemütlich machen und auf einem Gaskocher ihren Kaffee zubereiten. Beim nächsten Halt in Mailand steuern sie das Hotel Principe de Savoia an der Piazza della Repubblica an. Hergeführt hat sie – natürlich – der Koffer. Das Hotel erstrahlt noch in alter Pracht. Wobei: Es ist ein Gebäude, das mehr an einen Palast als an ein Hotel erinnert. Außen eine imposante Fassade, innen die Kronleuchter an der Decke und edle Holzmöbel. Da kann das Doppelzimmer auch mal 1.000 Euro kosten. Nichts für die 356-Reisegruppe. Den beiden genügt ein Foto vom Hotel samt Koffer.
Sie lassen den urbanen Trubel hinter sich und fahren weiter über den Lago Maggiore in Richtung Comer See. Eine Etappe davon: der Splügenpass. Auf 42 Kilometern verbindet er die italienische Region Lombardei mit der Schweizer Region Graubünden. Der kehrenreiche Pass bietet Fahrspaß, der Blick auf die wunderschöne Landschaft wie den Stausee Lago di Montespluga hebt die Laune noch mehr.
Der letzte Aufkleber, dem Jasper und Isabelle nachspüren wollen, zeigt das Grand Hotel Villa Serbelloni in Bellagio am Comer See. Doch der Weg dorthin gestaltet sich schwieriger als gedacht. „Dort darf man nur mit einer Hotelreservierung durch die Innenstadt fahren“, erinnert sich Jasper. „Zum Glück spricht Isabelle sehr gutes Italienisch.“ Nach einem kurzen Austausch mit den Ordnungshütern und dem Hotelpersonal genügt eine Reservierung im Restaurant für die Durchfahrt. „Der Anblick des 356 hat bei den Verhandlungen sicherlich nicht geschadet“, fügt Isabelle lachend hinzu.
» Vor der IMPOSANTEN KULISSE versprüht der 356 C den Flair der 1960er-Jahre «
Wenig später steht der frisch polierte Klassiker im Innenhof der majestätischen Villa – es weht ein Hauch der 1960er-Jahre durch die alten Gemäuer. Im Hintergrund thronen die Berggipfel, der Comer See leuchtet in Azurblau. „Da wir ohnehin dort waren, wollte ich einen Blick in den Spa-Bereich werfen“, berichtet Isabelle. Viel interessanter ist allerdings das, was sie auf dem Weg dorthin entdeckt: An der Wand hängt eine Sammlung von alten Aufklebern. „Und da sah ich ihn – den gleichen Sticker wie auf unserem Koffer.“ Damit schließt sich der Kreis. „Der 356 C hat sich als Dauerläufer bewiesen“, resümiert Jasper. „Bis auf den Fakt, dass sich das Ausrücklager der Kupplung auf dem Rückweg bemerkbar gemacht hat. Das war aber kein großes Drama.“ Die nächste Tour kann kommen. Die Route dürfte klar sein – denn ein paar Aufkleber hat der Koffer ja noch zu bieten.