Porsche Klassik
· 02.11.2024
Die Wurzeln des Carrera RS (964) liegen im Carrera Cup-Auto
Sie sind ein Vierteljahrhundert voneinander getrennt. Und doch sind der 911 Carrera RS (964) und der 911 R (991) Brüder im Geiste. Man könnte sogar so weit gehen und sagen: Der 911 R von 2016 hätte der direkte Nachfolger des Carrera RS von 1992 sein können. Oder andersherum: Der Carrera RS war seiner Zeit voraus und hätte 911 R heißen dürfen. So leicht und fahraktiv ist kein anderer Elfer der jeweiligen Generation.
Frank Troche hat seinen Carrera RS, von dem er schon immer träumte, nicht der Farbe wegen gekauft. Sondern trotz der Farbe. „Maritimblau hätte ich schöner gefunden, aber dieser Wagen war in einem so bestechenden Originalzustand.“ Der Carrera RS des Typs 964 war ein Verkaufshit aus der Not heraus. Weil die Verkaufszahlen nach einem Hoch schließlich im dritten vollen Modelljahr zurückgingen, versuchte Porsche, die Zeit bis zum Debüt der Generation 993 mit Sondermodellen zu überbrücken. Eines davon: der Carrera RS. Rund 2.000 Stück wurden gebaut.
Seine Wurzeln: das Carrera Cup-Fahrzeug aus der gleichnamigen Rennserie, die 1990 debütierte. Die Motorsport-Abteilung war sowohl für die Entwicklung des Cup-Rennfahrzeugs zuständig als auch für den abgeleiteten straßenzugelassenen Carrera RS. Das mag ein Grund für die straffe Abstimmung sein, die auf der einen Seite ein knackiges Fahrverhalten liefert, die Federung aber freundlich den Bandscheiben der Insassen überlässt.
Komfort-Features waren Fehlanzeige. Oberste Priorität hatte das Gewicht
Dank Leichtbau und Verzicht betrug das Gewicht des Carrera RS nur 1.220 Kilogramm – und damit rund 130 Kilogramm weniger als beim Carrera 2. Um das zu erreichen, ließ man sich einige Kniffe einfallen. Der Kofferraumdeckel wurde nicht aus Stahlblech gepresst, sondern aus Aluminium. Die vorderen Radnaben wurden durch Leichtmetallnaben ersetzt und die Servolenkung entfiel. Andere Komfort-Features wie die elektrischen Fensterheber, die elektrische Außenspiegelverstellung und selbst die Innenraumbeleuchtung suchte man ebenfalls vergeblich. Selbst die Heckscheibe wurde entelektrifiziert: Die Heckscheibenheizdrähte passten nicht mehr in das leichtere Dünnglas. In Sachen Aerodynamik hielt sich der Carrera RS zurück. Es gab keinen feststehenden Spoiler. Die einzige aerodynamische Maßnahme: die Übernahme der Außenspiegel vom Turbo – logischerweise ohne die elektrische Verstellung. Das Konzept sollte ja nicht verwässert werden.
24 Jahre später folgte ein Elfer mit ähnlicher Philosophie. Der 911 R der Generation 991 verzichtete ebenfalls auf einen feststehenden Flügel, zeichnete sich durch extremen Leichtbau aus und punktete mit einem sehr fahraktiven Fahrverhalten. Charaktereigenschaften, die Jan Koum, Gründer des Messenger-Dienstes WhatsApp, sofort begeisterten. Er legte wie Troche wenig Wert auf die Farbe. Stattdessen auf die Ausstattung. Da der auf nur 991 Stück limitierte R wegen des kompromisslosen Konzepts innerhalb von zwölf Stunden ausverkauft war, musste Koum auf die Suche nach einem gebrauchten Modell gehen. Mit seinen Kriterien allerdings nicht so einfach. Denn der Tech-Unternehmer hat ein Faible für sogenannte Radio-Delete-Fahrzeuge. Sein Credo: Nichts lässt ein Auto schneller altern als das Betriebssystem des verbauten Navigationssystems.
Der 911 R wurde in 49 Farben ausgeliefert. Der in Sternrubin ist ein Einzelstück
Koum fand einen jungen gebrauchten 911 R, der genau seinen Anforderungen entsprach: wenig Kilometer, kein Radio, kein Schiebedach, Einmassen-Schwungrad. Die Farbe war Koum egal. Tatsächlich gab es den puristischen 911 R ohnehin nur in Grandprixweiß oder Polar-silbermetallic zu kaufen. Eigentlich. Die meisten Käufer machten ihr Kreuzchen brav entweder bei A oder B. Als sich die Fälle à la „Ich kaufe meine Porsche aber immer in Zinnober-Cremolé“ häuften, reagierte der Vertrieb. Drei Sonderfarben wurden nachgeschoben: Racing Yellow, Lava Orange und Schwarz.
Aber auch dabei blieb es nicht. In einem sehr knappen Zeitfenster konnten ein paar enthusiastische Käufer ihren Verkäufern beim Porsche Zentrum um die Ecke die „Farbe nach Wahl“ abringen. Teil dieser seltenen Spezies ist der 911 R von Koum. Es ist ein Einzelstück. Porsche lieferte die insgesamt 991 Modelle in 49 verschiedenen Farben aus – aber nur einen in 82N, Sternrubin.
Zeitreise in das Jahr 1992: Diese Farbe war damals nicht in Mode. Getraut hatten sich das Wagnis damals nicht viele. Harm Lagaaij, damaliger Chef des Design Studios, ging die Farbfrage strategisch an. Der Sportwagenhersteller feierte Mitte der 1980er-Jahre weltweite Erfolge im Motorsport und eilte von Verkaufsrekord zu Verkaufsrekord. Es fehlte aber eine Vision für das nächste Jahrzehnt.
Hier kam die Farbe ins Spiel. Wenn alle ihre Autos von Mausgrau bis Dunkelblau in die Metallictöpfe tunken, dann schwimmt man eben gegen den Strom. Vielleicht genau deswegen ist die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Autos in Sternrubin und dem gefühlten Anteil an Sternrubin so hoch. Die Farbe fällt auf.
Der 911 R ist aber unabhängig von der Farbe außergewöhnlich. Seine Entstehungsgeschichte nahm einige interessante Wendungen. Während der Entwicklung des GT3 (Generation 991) stand ein manuelles 6-Gang-Getriebe oder das PDK zur Diskussion. Beide Systeme parallel anzubieten, hätte sich nicht gerechnet. Die PDK-Technologie machte im GT3 das Rennen. Der Prototyp mit Handschaltung fand mit frei saugenden 500 PS und 9.000 U/min aber ziemlich viele Fans in der Abteilung von Andy Preuninger, Leiter GT-Fahrzeuge. Statt nach dem internen Getriebe-Pitch in der Schrottpresse zu landen, wurde er auf dem Firmengelände versteckt und immer mal wieder umgeparkt.
Bis Walter Röhrl ihn entdeckte. Und von der Idee erfuhr, daraus einen 911 R ohne Flügel zu machen. Der Rallye-Weltmeister war begeistert: „Das muss ich haben.“ Preuninger klopfte darauf hin beim Vorstand an. Die Verkaufsidee: Man habe ein Modell entwickelt, welches den Geist des puristischen Fahrens, den Geist des Carrera RS, repräsentiert wie nichts anderes.
Vertriebsvorstand Bernhard Maier war vom manuellen Getriebe nicht überzeugt. Doch Röhrl rief bei Vorstandschef Matthias Müller an und motivierte ihn: „Die haben da etwas in der GT-Abteilung, das müsst ihr unbedingt bauen!“ Müller wusste zu dem Zeitpunkt noch nichts von der Existenz dieses Prototyps. Letztendlich ist es ihm und dem damaligen Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz zu verdanken, dass Porsche das Wagnis einer Kleinserienfertigung des 911 R einging.