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Selina SkramovskyDie Motorenflüsterin

Porsche Klassik

 · 02.11.2024

Selina Skramovsky: Die MotorenflüsterinIMAGE_PHOTOGRAPHER
Selina Skramovsky an ihrem Arbeitsplatz mit dem 911 (993) eines Kunden
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Prüfend fährt sie mit zwei Fingern an der Kette entlang, dann greift Selina Skramovsky zur Ratsche und zieht die Schrauben etwas stärker an. Noch einmal überprüft sie mit der Hand die Spannung der Kette. Jetzt sieht sie zufrieden aus. Nachher wird sie den Kettenkasten des Porsche 964, in dem die Kettenräder für die Nockenwellen und die Steuerketten untergebracht sind, fertig zusammenschrauben. „Der Rumpfmotor dauert immer am längsten“, erklärt die Mechanikerin.

Vier bis sechs Wochen benötigt sie, um den ganzen Antrieb eines luftgekühlten Elfers zu überholen. Ihre Fingernägel sind schmutzig, an den Händen klebt Öl. Es stört sie nicht. Im Gegenteil. „Ich habe es immer gemocht, wenn man dreckig geworden ist. Dann weiß man abends, was man den ganzen Tag gemacht hat“, sagt die 23-Jährige in ihrem weichen niederbayerischen Dialekt.

Seit mehr als zwei Jahren nimmt Selina Skramovsky alte Porsche-Motoren auseinander und setzt sie wieder zusammen. Wie bei einem großen Puzzle. Um die 2.000 bis 3.000 Einzelteile umfasst der Motor eines luftgekühlten Porsche 911. Manche breitet sie auf einem Tuch auf der Werkbank aus, die meisten legte sie sorgfältig in das riesige Regal hinter sich. Dort lagert ein Dutzend 911-Motoren, jeder in einem eigenen Fach mit Namen des Kunden. Kurbelwelle, Zylinderköpfe, Lüfterrad, Kolben, Nockenwellen – es sieht aus wie ein überdimensionaler Modellbausatz.

Selina wird in der Werkstatt ihres Vaters groß

Mittendrin ist Selina aufgewachsen. Die Werkstatt gehört ihrem Vater Michael. Skramovsky Motorsport liegt versteckt zwischen sanften Hügeln und Maisfeldern in Rimbach in Niederbayern. Das Dorf ist so abgelegen, dass manche Kunden aus Versehen sogar nach Rimbach in der Oberpfalz gefahren sind und sich gewundert haben, dass sie die Werkstatt nicht finden.

Selinas Vater, ihre Mutter, ihr Onkel, ihr Bruder, ihr Freund, der Bruder ihres Freundes – alle arbeiten hier. Mehr Familienbetrieb geht nicht. Die Firma hat sich auf die Instandsetzung und Überholung von Porsche spezialisiert, vor allem von Elfern. Auf dem großen Hof stehen 40 bis 50 Stück, vom F-Modell in Dunkelgrün Metallic bis zu einem weißen 997 GT3. Skramovsky Motorsport hat einen so guten Ruf, dass die Kunden aus ganz Deutschland, aus Österreich und aus der Schweiz kommen.

»Ich habe es immer gemocht, wenn man dreckig wird«

Auf Selinas linkem Oberarm prangt der verschnörkelte Schriftzug „Sechszylinder“. Das Tattoo erzählt von ihrer Liebe für die luftgekühlten Aggregate. Schon mit zwölf Jahren weiß sie genau, was sie will. „Ich habe damals geschrieben: ,Mein größter Wunsch: mit dem Papa einen Motor zusammenbauen‘.“ Es dauert einige Jahre, bis es so weit ist. Sie macht Praktika als Altenpflegerin und in der Apotheke. Doch nichts gibt ihr dasselbe Gefühl, wie mit schmutzigen Fingern an Motoren zu schrauben. Es ist wie eine Art Meditation für sie.

In ihrer Klasse in der Berufsschule ist sie das einzige Mädchen. „Die Jungs waren aber alle total cool drauf und haben mir viel geholfen“, sagt sie. Die meisten ihrer Mitschüler arbeiten in Vertragswerkstätten, in denen oft stumpf die Fehlercodes ausgelesen werden. Defekte Teile werden nicht repariert, sondern nur ausgetauscht. Selina will keine Teiletauscherin sein.

Alles hat seinen Platz: In der Werkstatt ihres Vaters Michael lernt Selina schon früh, worauf es ankommtIMAGE_PHOTOGRAPHERAlles hat seinen Platz: In der Werkstatt ihres Vaters Michael lernt Selina schon früh, worauf es ankommt

Sie will Motoren ausbauen, zerlegen, vermessen, durchschauen und neu montieren. Im Keller der Werkstatt ihres Vaters bearbeitet sie mehr als ein Jahr lang Zylinderköpfe, schneidet Ventilfüße nach, fräst Motorblöcke aus und ersetzt Laufbuchsen. „Mir war das irgendwann aber etwas zu langweilig“, erzählt sie. „Deshalb habe ich zusätzlich angefangen, die Motoren zu zerlegen.“ Zuerst baut sie die Aggregate nur auseinander, nach Gefühl, ohne Anleitung. Als Hilfe für einen Kollegen, der die Motoren überholt. „Hier arbeiten zum Glück Leute, die viel wissen und die man ständig fragen kann.“ Das meiste lernt sie von ihrem Vater. Obwohl sie seit Jahren zusammenarbeiten und sich ständig sehen, verstehen sie sich gut. Selina ist durch und durch Familienmensch, selbst nach der Arbeit sitzt sie abends oft noch zusammen mit den anderen in einer Hütte auf dem Gelände, sie trinken etwas und unterhalten sich. Früher hatte sie noch Pferde, aber jetzt ist das Schrauben Arbeit und Hobby zugleich.

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»Wenn der Motor zum ersten Mal läuft, ist das ein unfassbares Gefühl«

Ihrem Traumjob einen großen Schritt näher kommt sie, als eine Freundin sie um einen Gefallen bittet. Selina soll den Motor ihres roten F-Modells überholen. Es ist nicht irgendein Auto. Es hat einen besonderen emotionalen Wert, weil es früher der Mutter der Freundin gehört hat. Es ist der erste Antrieb, den Selina allein auseinander-und wieder zusammenschraubt. „Er lief perfekt“, sagt sie. „Ich konnte es nicht fassen.“ Kurze Zeit später hört der Kollege auf, der die luftgekühlten Motoren überholte. Seitdem zerlegt Selina die Motoren, die oft doppelt so alt sind wie sie. „Ich bin voll ins kalte Wasser geschmissen worden und hatte schon Bedenken, weil immer etwas Zeitdruck herrscht“, sagt sie sehr offen und ehrlich. „Aber ich glaube, dass es das Beste war, was mir passieren konnte.“

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Inzwischen arbeitet sie an mehreren Motoren gleichzeitig. Jeden Arbeitsschritt dokumentiert sie für die Kunden mit Fotos. Manche erkundigen sich regelmäßig telefonisch nach ihrem Liebling, andere kommen selbst vorbei und schauen nach. Obwohl sie schon Dutzende Motoren überholt hat, hat sie immer noch Respekt davor. „Da greifen so unfassbar viele Teile ineinander. Aber wenn er dann zum ersten Mal läuft und du weißt, das hast du gemacht – das ist ein unfassbares Gefühl.“

Mal geklickt. In den Videos, in denen sie meistens einen einfachen schwarzen Hoodie trägt, wirkt sie so unverstellt und authentisch, wie sie ist. Doch Selina erlebt auch, wie toxisch Social Media sein können. „Die Kommentare unter meinem ersten Video waren das Allerletzte“, erinnert sie sich. Viele glaubten ihr nicht, dass sie selbst an den Motoren schraubt. Sie warfen ihr vor, dass alles nur gestellt sei. Inzwischen überwiegen die positiven Rückmeldungen. Die bekommt sie auch von ihren Kunden. Selbst wenn anfangs nicht jeder überzeugt war, wenn er erfuhr, dass eine junge Frau am Motor seines Elfers arbeiten würde. „Ich hatte einen Kunden, der hatte eine Frage und wollte sie lieber mit meinem Chef besprechen“, sagt sie. „Aber als ich ihm erklärt habe, dass ich seinen Motor zerlegt und wieder zusammengebaut habe, war das Thema schnell erledigt.“

Ihr eigenes Auto, ein G-Modell von 1984, steht momentan halb zerlegt in der Werkstatt. Eigentlich wollte sie den Wagen nur lackieren, dann hat sie die Bremsanlage aus einem 996 eingebaut. „Aber jetzt wird es ein Breitbau“, sagt sie, konzentriert sich wieder auf den Kettenkasten und ergänzt: „Das dauert aber noch, ich komme zurzeit nicht dazu. Vielleicht im Winter.“

Über 162.000 Menschen folgen ihr auf Instagram

Das teilt sie auf Instagram (@selina_skramovsky). Während manche anderen jungen Frauen Avocado-Toast und Yoga-Posen feiern, geht es bei ihr um Verblechungen und Ventilführungen. „Vor der Kamera zu stehen, ist eigentlich überhaupt nicht mein Ding“, sagt sie. Sie ist zwar selbstbewusst, aber eher introvertiert. Auch mit den Kunden zu reden, die meistens deutlich älter sind als sie, fällt ihr anfangs nicht ganz leicht, aber sie lernt schnell dazu. Nach dem Zuspruch einer Freundin probiert sie Instagram trotzdem aus – mit Erfolg. Über 162.000 Menschen folgen ihr, einer ihrer Clips wurde mehr als 15 Millionen