Porsche Klassik
· 30.06.2023
Ein wenig schüchtern blickt der Junge hinter dem Steuer des Wagens aus dem Seitenfenster. Ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen, die blonden Haare streng gescheitelt, der Blick in die Kamera ein wenig unsicher. Der 14-jährige Wolfgang Porsche ragt gerade so über das Lenkrad des 356 A Coupé, der 1957 einen Meilenstein in der bisherigen Firmengeschichte darstellt. Ein Augenblick im Rampenlicht, das der zurückhaltende Enkel des legendären Automobilkonstrukteurs eigentlich scheut. Beinahe scheint es, als begreife der Junge just in diesem Augenblick, welch große Verantwortung einmal auf seinen Schultern lasten wird. Der Name Porsche, für Millionen Verheißung und Versprechen, für ein Kind auch lebenslange Verpflichtung.
Wolfgang Porsche trat in große Fußstapfen. Und er tat dies bedächtig und leise. Seine Schritte hallen dennoch nach. Als Oberhaupt der Porsche-Familie ist er mit 75 der mächtigste Mann im Clan.
Fünf Jahrzehnte später wird der jüngste Sohn von Ferry Porsche mit tränenerstickter Stimme diejenigen Worte sagen, die ihn erstmalig ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit holen und ihm fortan für immer anhaften: »Der Mythos Porsche lebt und wird nie untergehen.« Im vielleicht schwierigsten Moment seiner Karriere bittet Wolfgang Porsche die Belegschaft angesichts der Übernahmeschlacht um VW um Vertrauen. Die rund 5.000 Mitarbeiter, die an diesem Nachmittag im Juli 2009 im Zuffenhausener Fabrikhof im Regen stehen, zittern einer ungewissen Zukunft entgegen. Doch in der bis dahin größten Krise des Sportwagenherstellers zeigt sich die Stärke des Miteigentümers. Wolfgang Porsche – genannt WoPo – ist nicht nur Manager, sondern Mensch. Er sagt, Porsche, das ist nicht nur meine Familie, sondern auch jeder Einzelne von euch. Und er lebt es vor. Nicht nur im Werk, sondern auch an der Rennstrecke. Beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans steht er als über 70-Jähriger selbst mitten in der Nacht noch in der Box und fiebert mit seinem Team. Es ist auch Wolfgang Porsche, der – nur wenige Minuten nachdem Toyota 2017 seinen ersehnten ersten Sieg an der Sarthe verzweifelt an Porsche abgeben muss – zuerst in das Zelt des japanischen Konkurrenten läuft.
»Porsche«, sagt er sichtlich bewegt, »Porsche ist Erster, aber Toyota war das beste Team.« Wenn man dem mächtigen Aufsichtsratsvorsitzenden in solchen Momenten zuhört, dann klingt in seinem schwäbischen Zungenschlag immer noch der Hall des großväterlichen Schlaghammers mit. Vielleicht ist es sein Verdienst, dass die Firma Porsche trotz Übernahme durch den Volkswagen-Konzern nie an Seele verloren hat.
Als Chef des Porsche-Clans braucht man Fingerspitzengefühl und Verhandlungsgeschick. Wolfgang Porsche hat beides. Der vierfache Familienvater löst schwierige Situationen mit einer Mischung aus Zurückhaltung und Humor.
Nahezu unbemerkt wird der einstige Yamaha-Händler der wichtigste Vertreter der Familien Porsche und Piëch, der Hauptaktionäre des Volkswagen-Konzerns und der Porsche AG, VW-Aufsichtsrat, milliardenschwerer Miteigentümer des Konzerns und heute oberster Hausherr. Und dennoch weiß man kaum etwas über ihn. Vielleicht ist gerade dieser Umstand das Bemerkenswerteste an diesem Mann. WoPo war nie ein bahnbrechender Erfinder wie sein Großvater, nie ein genialer Auto-Designer wie Vater und Bruder, und er hatte auch nicht die kompromisslosen Visionen wie sein Cousin Ferdinand Piëch, dessen gefürchtetes Walten als VW-Vorstandsvorsitzender ihm nicht ohne Grund den Beinamen des »Patriarchen« einbrachte. Wolfgang Porsche, der weißhaarige, freundliche Mann mit dem verschmitzten Lächeln, ist stets besonnener Diplomat und pragmatischer Strippenzieher.
Der ehemalige Waldorfschüler und passionierte Bio-Landwirt sagt gern »wir«, wenn er von der Familie spricht. Und er sagt das so, als seien die Familien Porsche und Piëch eine unzerstörbare Einheit. Dass sie das in Wahrheit nicht sind, ist ein Umstand, der WoPo sein ganzes Leben lang begleitet. Angriff und Diplomatie, Einheit und Distanzierung – immer ist beides gefordert im Ringen um die Macht im Clan. Und nicht immer gelingt es WoPo, zwischen Höhenflügen, Tiefschlägen und Skandal unauffällig im Hintergrund zu walten. Längst ist sein Blick offener und mutiger als der des 14-jährigen Jungen im 356, und hier und da sorgt sein hintergründiger Humor gezielt für Eklats im Gefüge der komplizierten Familienverhältnisse. Es ist kein Geheimnis, dass der Abgang des übermächtigen Vetters 2015 zu Teilen das Werk von Wolfgang Porsche war, der im Hintergrund entschieden die Fäden zog. Eine von vielen Szenen im Leben des Porsche-Erben, die Stoff bieten würden für Hollywood.
Anlässlich seines 70. Geburtstags sagte WoPo einmal, er habe noch viel vor. Es war das Jahr, in dem bei VW die Welt noch in Ordnung war und dem Konzern seine größte Krise erst bevorstand. Heute, fünf Jahre später, steht die globale Mobilitätsindustrie vor ähnlich gravierenden Umwälzungen wie zu jener Zeit, als der Großvater seine revolutionären Ideen spann. Aber sein Enkel ist ein Mann, der zu seinem Wort steht. Man darf ihm glauben. Der Mythos lebt, denn die Marke Porsche hat ein Gesicht. Seins.